12/2025 | Dr. Marco Schröder | Bildung, Arbeit, Handwerk

Idar-Oberstein: Ausbildungszentrum der Schmuck- und Edelsteinbranche

Entwicklung von Studium, Ausbildung und Beschäftigung

09. Mai 2025

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Dr. Marco Schröder
Soziologe, Bildungswissenschaftler
Leiter Referat „Bildung“
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Mit der Stadt Idar-Oberstein und der umliegenden Region stellt Rheinland-Pfalz einen weltweit anerkannten und geschichtsträchtigen Standort der Schmuck- und Edelsteinindustrie. Die Region kann auf eine lange Geschichte in der Edelsteinbranche zurückblicken, die bis in das Mittelalter reicht. In der Blütezeit waren rund 5.000 Menschen in Idar-Oberstein in der Schmuck- und Edelsteinbranche beschäftigt. Für die Edelstein-, Gold- und Silberbe- und -verarbeitung sowie die Herstellung von Schmuck und Uhrenketten bedurfte es hoch spezialisierter Fachkräfte, die aus ganz Deutschland, Europa und der Welt in der Hunsrückstadt sesshaft wurden. Damit einher ging der Ausbau, die internationale Anerkennung und die Spezialisierung der beruflichen und der akademischen Aus- und Fortbildung in branchentypischen Berufen. Auch wenn Idar-Oberstein wahrscheinlich nicht mehr an die Erfolge aus den Hochzeiten anknüpfen kann, lohnt ein Blick auf die Entwicklung der Beschäftigten- und Auszubildendenzahlen in der Edelstein- und Schmuckbranche seit den 1980er-Jahren.

Traditionsreiche Geschichte der Schmuck- und Edelsteinverarbeitung

Idar-Oberstein ist für seine Edelstein- und Schmuckprodukte weltweit bekannt. Bereits im 14. Jahrhundert wurden in der Region erste Achatfunde dokumentiert.[1] Mithilfe von Wasserkraft und in der Pfalz gefertigten Sandsteinrädern „wurden die erstmals im Jahr 1540 urkundlich erwähnten Schleifereien“ in der Region betrieben.[2] Im Zuge der 1609 erlassenen Zunftordnung für Achatschleifer benannte Landesherr Philipp Franz von Daun Oberstein zum Hauptort der Achatschleiferei.[3] Anfang des 18. Jahrhunderts siedelten sich zunehmend mehr verwandte Handwerksgewerbe in der Region an, beispielsweise Silber- und Goldschmiede sowie Edelsteinbohrer und Graveure. Bereits 1715 war mehr als jeder zweite männliche Einwohner Idars mit der Verarbeitung von Achaten und anderen Edelsteinen beschäftigt.[4] Obwohl Anfang des 19. Jahrhunderts die Achatfunde in der Region zunehmend versiegten, kam das Edelstein- und Schmuckgewerbe nicht zum Erliegen. Grund war, dass aufgrund der zurückgehenden Rohstofffunde viele Menschen aus der Region unter anderem nach Südamerika emigrierten und in Brasilien auf umfangreiche Achatvorkommen stießen, die sie nach Idar und Oberstein exportierten.[5] In den Folgejahren war Idar-Oberstein bei fast allen Entdeckungen neuer Edelsteinvorkommen auf der ganzen Welt involviert.[6]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts professionalisierte sich das Gewerbe der Edelsteinschleiferei zunehmend und umfasste neben der Achatschleiferei unter anderem auch die Verarbeitung von Saphiren und Diamanten. Dadurch stieg die Zahl der Edelsteinschleifer in Idar von 150 im Jahr 1890 auf 2.400 im Jahr 1924.[7] Mit der steigenden Zahl der Beschäftigten und der zunehmenden Spezialisierung in den Berufen ging der Ausbau der berufsbildenden Schule einher. Bereits 1843 war die Gewerbeschule Oberstein errichtet worden.[8] Die Etablierung einer öffentlichen Berufsschule in den 1920er-Jahren ermöglichte eine geregelte, theoriebasierte und auch praxisorientierte Berufsausbildung zum „Achatschleifer, Achatbohrer, Facettierer, Lapidäre, Edelsteingraveur sowie Diamantschleifer, -reiber und -säger“.[9]

Obwohl die Branche durch die beiden Weltkriege – mit denen auch Edelsteinlager im Ausland verloren gingen und Handelsbeziehungen zu Abbaugebieten zum Erliegen kamen – einen erheblichen Einbruch erfuhr, konnte in den Nachkriegsjahren durch die Modeschmuckproduktion unter Verwendung von Verfahren der Galvanisierung bzw. des Eloxierens eine neue Erwerbsquelle erschlossen werden.[10] Auch die Etablierung einer internationalen Diamant- und Edelsteinbörse in den 1970er-Jahren trug zu einem erneuten Aufschwung bei. 

Trotz Prosperität bis in die späten 1970er-Jahre und den fortlaufenden Bemühungen, die internationale Reputation der als Zusammenschluss aus den beiden Gemeinden Idar und Oberstein erwachsenen Stadt Idar-Oberstein und deren umliegender Region in der Edelstein- und Schmuckbranche zu fördern, konnte ein Einbrechen der Umsatz-, Beschäftigten- und Auszubildendenzahlen nicht verhindert werden. Die Nachteile eines mitteleuropäischen Standorts, dem es (inzwischen) an Edelstein- und Edelmetallvorkommen mangelte, der an keinen Seehafen angebunden und in dem das Lohnniveau vergleichsweise hoch war, wogen und wiegen schwer. Im Kontext der Globalisierung verlagerte und verlagert sich die Verarbeitung von Schmuck- und Edelsteinprodukten zunehmend in das Ausland. 

Dennoch ist der Standort Idar-Oberstein auch heute noch weltweit anerkannt für seine historische und auch gegenwärtig noch vorzufindende Handwerkskunst. Dies ist auf seine traditionsreiche Geschichte, begabte Handwerkerinnen und Handwerker sowie den Ausbau hoch spezialisierter professioneller Bildungsangebote im Kontext der Edelstein- und Edelmetallbe- und -verarbeitung zurückzuführen. In Rheinland-Pfalz erfolgen heutzutage alle handwerklichen Ausbildungen in den Edelsteinschleifer-, Edelsteinfasser- und Goldschmiedekünsten ausschließlich an der Berufsschule in Idar-Oberstein und in der nahe gelegenen dreijährigen Berufsfachschule der Meisterschule für Handwerker Kaiserslautern. Darüber hinaus etablierte sich im Jahr 1986 unmittelbar am Standort Idar-Oberstein ein Campus der Fachhochschule Trier, an dem Studierende des Studiengangs Edelstein- und Schmuckdesign inzwischen einen Bachelor- oder Mastertitel mit dem Grad „Fine Arts“ erlangen können.[11]

Rückgang der Beschäftigtenzahl

Ende 2023 wurden der Bundesagentur für Arbeit rund 1.400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Herstellung von Schmuck, Gold- und Silberschmiedewaren in Rheinland-Pfalz gemeldet. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Beschäftigten zunächst auf knapp 1.700 im Jahr 2016 gestiegen, ehe sie in den Jahren der Coronapandemie einbrach; seither stabilisierte sich die Beschäftigtenzahl weitestgehend. Gegenüber 2016 ist demnach ein Rückgang von 13 Prozent zu verzeichnen.

Längerfristige Entwicklungen lassen sich aufgrund veränderter Klassifikationen der Wirtschaftszweige und nicht einheitlich dokumentierter historischer Daten nur eingeschränkt darstellen. Dennoch ist es möglich, unter Berücksichtigung unterschiedlicher Wirtschaftszweigsystematiken (WZ) und unterschiedlicher Datenquellen der Bundesagentur für Arbeit, eine zumindest tendenzielle Entwicklung der Beschäftigtenzahl von 1983 bis 2023 in der Schmuck- und Edelsteinherstellung abzubilden. Hierfür wurden die Wirtschaftsgruppen „39 Schmuckwarenherstellung“ (WZ 1997) und „36.2 Herstellung von Schmuck und ähnlichen Erzeugnissen“ (WZ 1993, WZ 2003) sowie die Wirtschaftsklasse „32.12 Herstellung von Schmuck, Gold- und Silberschmiedewaren“ (WZ 2008) zusammengefasst. Diese Wirtschaftsklassen- und -gruppenauswahl beinhaltet keine Beschäftigten im Bereich der Uhren- oder Fantasieschmuckherstellung, da diese Bereiche teilweise nicht eindeutig in den unterschiedlichen Klassen und Gruppen identifizierbar sind. 

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte¹ in der Schmuckherstellung 1983–2023

In Rheinland-Pfalz (Arbeitsort); 1.000

1 Wirtschaftszweige 39 (WS 1973), 362 (WZ 1993, 2003) und 3212 (WZ 2008); bis 1998 jeweils zum 30.6., ab 2000 jeweils zum 31.12.; Vorjahreswert für 1999.

© Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz

Mitte 1983 waren in Rheinland-Pfalz knapp 3.300 in der Edelstein-, Schmuck- und Edelmetallbe- und -verarbeitung sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Beschäftigtenzahl hielt sich bis 1992 weitestgehend auf diesem vergleichsweise hohen Niveau. Erst ab 1993 und den Folgejahren erfolgte ein in der Gesamtschau deutlicher, rund 15 Jahre währender, annähernd stetiger Einbruch. Im Jahr 2002 lag sie erstmals knapp unter 2.000 Personen; 2021 wurde die Grenze von 1.500 Beschäftigten unterschritten. Innerhalb der letzten vier Jahrzehnte hat sich die Beschäftigtenzahl in der Edelstein- und Schmuckherstellung mehr als halbiert (–56 Prozent). 

Bevölkerung¹ in Idar-Oberstein (Stadt) 1983–2023

1.000

1 Fortschreibung Bevölkerungsstand jeweils zum 31.12. auf Basis der Volkszählung 1970, 1987 sowie des Zensus 2011, 2022.

© Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz

Die Entwicklung der Edelsteinbranche hatte auch Auswirkungen auf die Attraktivität des Standorts Idar-Oberstein als Wohnort. Zwischen 1983 und 2023 sank entsprechend auch die Bevölkerungszahl der Stadt von rund 34.700 auf 30.200. Der Bevölkerungsrückgang innerhalb der letzten vier Dekaden beläuft sich demnach auf 13 Prozent. Zum Vergleich: Die Bevölkerungszahl im zugehörigen Landkreis Birkenfeld sank im gleichen Zeitraum um nur fünf Prozent und die von Rheinland-Pfalz stieg um 14 Prozent. 

Bevölkerungsentwicklung¹ 1983–2023

Index: 100=1983

1 Fortschreibung Bevölkerungsstand jeweils zum 31.12. auf Basis der Volkszählung 1970, 1987 sowie des Zensus 2011, 2022.

© Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz

Entdifferenzierung der Aus- und Fortbildungsberufe und sinkende Auszubildendenzahlen

In den Hochzeiten der modernen Edelsteinverarbeitung und Schmuckherstellung entwickelten sich eine Vielzahl von hoch spezialisierten Ausbildungsberufen, für die im dualen Ausbildungssystem die für die Berufsausübung erforderlichen theoretischen Ausbildungsinhalte unter anderem an der berufsbildenden Schule in Idar-Oberstein erlernt und der dazugehörige Praxisanteil im örtlichen Betrieb erprobt werden konnten. Die Ausbildungen wurden teilweise sowohl von der Industrie- und Handelskammer als auch von der Handwerkskammer geregelt. In den 1980er-Jahren wurden in Rheinland-Pfalz beispielsweise die hoch spezialisierten Berufsausbildungen zum bzw. zur 

  • Edelsteinschleifer/-in,
  • Achatschleifer/-in,
  • Diamantschleifer/-in,
  • Farbstein-, Achatschleifer/-in und Schmucksteingraveur/-in,
  • Edelsteingraveur/-in,
  • Schmucksteinfasser/-in,
  • Goldschmied/-in,
  • Juwelengoldschmied/-in,
  • Vergolder/-in,
  • Feinpolierer/-in,
  • Galvaniseur/-in sowie
  • Galvaniseur/-in und Metallschleifer/-in

angeboten. Im Jahr 1983 befanden sich landesweit rund 310 junge Menschen in einer der genannten Ausbildungen, 1985 sogar knapp 380. Obwohl Anfang der 1990er-Jahre das Angebotsspektrum um die Ausbildungen „Silberschmied/-in“ und „Edelsteinfasser/-in“ erweitert wurde, sank die Zahl der Auszubildenden in der Summe auf etwa 230 im Jahr 1993. In den Folgejahren wurden einige Ausbildungen zusammengelegt oder eingestellt, beispielsweise die Ausbildung zur Juwelengoldschmiedin bzw. zum Juwelengoldschmied. Im Zuge der einbrechenden Gesamtbeschäftigtenzahlen in der Edelstein- und Schmuckverarbeitung sanken auch die Auszubildendenzahlen in dieser Branche kontinuierlich. Im Jahr 2003 waren es noch rund 130 Auszubildende, 2013 knapp 80 und 2023 weniger als 60. Die Auszubildendenzahl von 1985 – dem Höhepunkt der Entwicklung der letzten 40 Jahre – lag knapp sieben Mal so hoch wie die von 2023. Damit sank die Zahl der Auszubildenden zwischen 1985 und 2023 um 85 Prozent.

Neben den insbesondere an der Berufsschule in Idar-Oberstein etablierten dualen Ausbildungsgängen in der Schmuck- und Edelsteinverarbeitung etablierte sich an der rund 60 Kilometer entfernten Meisterschule für Handwerk der dreijährige Berufsfachschulbildungsgang „Goldschmied/-in“. Die Besonderheit der dreijährigen Berufsfachschule ist, dass die vollschulische Ausbildung ohne Ausbildungsverhältnis in einem Betrieb zu einem dem Gesellenbrief gleichgestellten Abschluss führt.[12] Die handwerkliche Praxis wird dort unmittelbar in den Werkräumen der Berufsfachschule vermittelt.